Rechte versuchen türkischen Imbissinhaber zu vertreiben

Polizei bagatellisiert zunächst neonazistischen Angriff // Spendenaufruf zur Schadensbeseitigung

In Mücheln (Saalekreis) haben am 25. Februar 2012 mehrere Personen einen dort ansässigen Gewerbetreibenden angegriffen, rassistisch angefeindet und bedroht. Ziel der Angreifer war, dass der Inhaber seinen Imbiss mit türkischen und internationalen Spezialitäten in Mücheln schließen solle.  Hatte die Polizei eingangs lediglich von einer verbalen Auseinandersetzung wegen des Rauchverbotes berichtet, die letztlich in Handgreiflichkeiten übergegangen sei, wurden erst Tage später durch Medienberichte und die Mobile Opferberatung das Ausmaß und die Hintergründe des Angriffes bekannt.

Neben dem Betreiber Yasar N. waren am Samstagnachmittag (25.02.2012) u.a. noch seine Lebensgefährtin und die 7-jährige Tochter im Verkaufsraum anwesend. Mindestens sechs Personen (darunter zwei Frauen) sollen tatbeteiligt gewesen sein. Die Polizei berichtete am Folgetag von lediglich zwei Müchelnern (54 und 20 Jahre), die den Imbiss betreten hätten. Die Angreifer schlugen und traten auf den Betreiber ein, der zu Boden geworfen wurde. Rassistische Anfeindungen folgten. Außerdem drohten die Angreifer ihm, wenn er den Imbiss bis zum 20. April – dem Geburtstag des „Führers“ – nicht schließe, sei er die „zwölfte Person“, die in der Zeitung stehe, womit die Angreifer auf die Morde der neonazistischen Terrorzelle „NSU“ anspielten.

Etwa eine Stunde soll das Szenario gedauert haben. Auch die Lebenspartnerin von Yasar N. wurde mit einem Faustschlag an der Schulter verletzt. Die 7-jährige Tochter musste alles mit ansehen, bis es der Mutter später erst gelang, sie zum Schutz in einen Nebenraum zu bringen. Nachdem die Angreifer zunächst von den Betroffenen abließen, versuchten sie kurze Zeit später nochmals in den Verkaufsraum zu gelangen. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es den Betreibern den Zutritt zu verwehren. Dabei musste Yasar N. nochmals Faustschläge einstecken, zudem ging die Scheibe der Eingangstür zu Bruch und die Betroffenen wurden durch Glassplitter verletzt.

Insgesamt drei Mal soll im Zuge des Angriffes der Polizeinotruf gewählt worden sein. Das Eintreffen des ersten Streifenwagens soll dennoch geraume Zeit gedauert haben. Währenddessen sollen sich mehrere SympathisantInnen der Täter vor dem Lokal versammelt und die Angegriffenen verhöhnt haben. Laut Aussagen der Betroffenen hätten die Beamten nach Eintreffen zunächst ihre Personalien aufgenommen und einen Alkoholtest durchgeführt. Eine blutende Wunde von Yasar N. hätte einer der Beamten quittiert mit: „Sie brauchen keinen Arzt.“ Ein Polizeisprecher räumt später auf Nachfrage ein, dass den Betroffenen durch die Beamten tatsächlich keine ärztliche Behandlung angeboten worden sei. Zudem habe sich die Polizei erstmals vier Tage später – am Mittwoch – wieder bei ihnen gemeldet. Das Vertrauen in die Polizei hat die Betreiberfamilie verloren.

Nach einem Brief des türkischen Generalkonsuls ist nun auch Innenminister Stahlknecht (CDU) alarmiert und sicherte „unverzügliche und vollständige Aufklärung“ sowie „offene und verdeckte Schutzmaßnahmen“ zu - mittlerweile hat Stahlknecht die Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe zur Chefsache erklärt. Bereits am Folgetag fuhren PKW wiederholt am Imbiss vorbei, ließen die Motoren aufheulen, um sich bemerkbar zu machen. Yasar N. will darin Beteiligte des Angriffes wiedererkannt haben. Aufkleber mit Neonaziparolen kleben zudem auch im unmittelbaren Umfeld des Lokals. Die Familie ist verunsichert. Ob sie den Schaden wieder refinanzieren können und den Imbiss weiter betreiben bleibt vorerst ungewiss. Nach dem Angriff bleibt die Kundschaft aus. Der Fall habe sich wie ein Lauffeuer in Mücheln herumgesprochen. Bürgermeister Marggraf habe aber auch zwei Wochen danach noch keinen Kontakt zu den Betroffenen gesucht und tue sich im Umgang mit diesem Fall schwer.

Solidarität und Unterstützung für Yasar N. und seine Familie sind dringend notwendig. Einerseits, um den entstandenen Schaden zu beheben, andererseits um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass rassistisch motivierte Angriffe und Verdrängungsversuche in Mücheln nicht widerspruchslos hingenommen werden. Einen Spendenaufruf hat die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt von Miteinander e.V. gestartet:

Spendenkonto:
Kontoinhaber: Miteinander e.V.
Konto-Nr.: 53 53 53
Bankleitzahl: 810 205 00
Verwendungszweck: Angriff Mücheln

Mehr dazu:
Mitteldeutsche Zeitung vom: 11.03.2012, „Ratlos in Mücheln“
Mitteldeutsche Zeitung vom: 10.03.2012, „Türkische Imbiss-Betreiber fürchten um Existenz“
Mitteldeutsche Zeitung vom: 26.02.2012, „Schlägerei in Müchelner Gaststätte“

Koordinierungsstelle LAP Saalekreis | 12.03.2012

 
Broschüre Amadeu Antonio Stiftung

Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit: Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung bietet Grundlagen, Best Practice und Handlungsempfehlungen

Weiterlesen...
 
"Du weißt schon, wie in Rostock..."

"Du weißt schon, wie in Rostock..." - Filmbeitrag gegen das Vergessen rechter und rassistischer Gewalt im Sachsen-Anhalt der 1990er Jahre

Weiterlesen...
 
Mit Argumenten gegen Vorurteile

Mit Argumenten gegen Vorurteile - Aufklärung für Willkommenskultur

Weiterlesen...
 
Spendenaufruf Bernburg

Spendenaufruf nach rassistischem Angriff auf Imbissbetreiber in Bernburg

Weiterlesen...
 
“Liken. Teilen. Hetzen. Neonazi-Kampagnen in Sozialen Netzwerken“

Broschüre: “Liken. Teilen. Hetzen. Neonazi-Kampagnen in Sozialen Netzwerken“

Weiterlesen...
 
Handreichung zum Umgang mit rechtsextremen Einflüssen im Sport

Handreichung zum Umgang mit rechtsextremen Einflüssen im Sport vom Landessportbund herausgegeben

Weiterlesen...
 
Grünen-Broschnüre zu Todesopfern rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt

Zertreten Erschlagen Erstochen - Broschüre zu Todesopfern rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt

Weiterlesen...
 
Handreichung "Aktiv gegen extrem rechte Zeitungen"

Handreichung "Aktiv gegen extrem rechte Zeitungen"

Weiterlesen...
 

   |    LOKALER AKTIONSPLAN SAALEKREIS – Für Demokratie und Toleranz    |    Gestaltung: www.designroyal.de