„Das alles hat mein Vertrauen so stark erschüttert“Alles andere als willkommen in Deutschland – Theaterstück „Asylmonologe“ erzählt eindrucksvoll von Fluchtgeschichten und deutschem Asylsystem Am 16. April 2013 ist im Merseburger Schlossgarten-Salon Theateratmosphäre angesagt. Etwa 115 Gäste haben im Obergeschoss Platz genommen. Drei exemplarische Schicksale mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen werden im Theaterstück „Die Asylmonologe“ präsentiert. Sie stehen stellvertretend für unzählige andere. Regisseur Michael Ruf betont eingangs nochmal, dass es sich bei den Darbietungen ausschließlich um wahre Geschichten handelt, die basierend auf Interviews, wortgetreu erzählt werden. Nach allen Vorführungen komme, erzählt Ruf, kommen Menschen aus dem Publikum zu ihm und bestätigen, die selben Erfahrungen auf der Flucht und im deutschen Asylsytem gemacht zu haben. Um auch Menschen, deren Alltagssprache nicht Deutsch ist, die Verfolgung des Stückes zu ermöglichen, werden Untertiteln in Englisch und Französisch auf Leinwand geworfen. Die Geschichten von Ali aus Togo, Safiye aus der Türkei und Felleke aus Äthiopien beginnen im jeweiligen Herkunftsland, wo sie früh schon Erfahrungen sammeln mussten mit staatlicher Gewalt, dem lebensnotwendigen Verbergen der eigenen kulturellen Identität oder dem Einsatz von Kindern in der Armee. „Ich möchte, dass die Deutschen mehr erfahren, warum wir hier sind. Und ich möchte vom deutschen Asylsystem erzählen“, so Safiye. „Ich möchte zeigen, wie wir Flüchtlinge leben“, ergänzt Ali. „Es gibt viele Leute, die keine Ahnung haben, was mit Menschen in Deutschland passiert, die Schutz suchen. Viele glauben, dass hier alles glatt läuft mit den Asylverfahren“, weiß Felleke zu berichten. Felleke hatte in Äthiopien Landwirtschaft, Verterinär- und später Gesundheitsmedizin studiert. Um eine Lebrapraxis aufzubauen, nahm er dort zunächst einen Posten als Verwaltungsdirektor an. Als größte Bevölkerungsgruppe in Äthiopien sind die Oromo, zu denen er zählt, dennoch stark benachteiligt. Krieg und wachsende Steuern zwangen viele Menschen dazu all ihre Rinder zu verkaufen. „Manche hatten gar nichts mehr.“ „Wenn Menschen in Äthiopien sich vom Staat bedroht fühlen, dann verbunkern sie sich im Wald. Es gab einen Waldbrand in meinem Landkreis – das hat die Regierung gemacht. Weil die Männer im Wald versteckt waren, hatten die Frauen nichts zu essen, hatten die Kinder nichts zu essen. Die sind verhungert. Die Politiker meinten, es soll nur von Malaria gesprochen werden“, berichtet Felleke. Die Finanzen für die Krankenstation wurden massiv gekürzt und die Mitarbeiter sollten bald für den Kriegsdienst zur Verfügung stehen. „Jeder der was sagt, wird ins Gefängnis geworfen oder erschossen.“ Zwangsarbeit, Schläge, kein Fenster, kein Bett und mit anderen auf engstem Raum, abwechselnd nur im Stundentakt schlafen – so sah das Leben in Haft aus. Sein Mitarbeiter landete dort. Weil Felleke Menschen die Tauglichkeit für den Kriegsdienst nicht mehr attestieren wollte, zog er Unmut auf sich. Als auch für ihn der Kriegseinsatz unausweichlich wurde, versorgte er hinter der Front die Verwundeten. Einen fünfzehnjährigen Bekannten hat er dort wieder getroffen – angeschossen und mit einem „von oben bis unten operierten Bauch“. „Die Wunden waren noch nicht einmal verheilt und die haben ihn wieder an die Front geschickt.“ Als Felleke später erfuhr, was man über ihn redete, bekam er die Empfehlung dazu: „Hau unverzüglich ab!“ Eine Einladung zu einem internationalen Kurs in Amsterdam ermöglichte Mediziner die Ausreise. Traurig darüber, aus seiner Heimat einfach so weggelaufen zu sein, konnte er auch nicht in Holland bleiben. Berichte über Diskriminierung von Flüchtlingen in Holland trieben ihn weg. Sein Flugzeug hatte Zwischenstopp in Frankfurt. In Äthiopien war die Regierung durch den Krieg nun noch brutaler. Seine Aussichten waren, entweder an die Front zu kommen oder als Verräter inhaftiert oder erschossen zu werden. „Es macht keinen Unterschied, ob du hier gequält wirst oder da, ob du hier stirbst oder da“, reifte seine Entscheidung, in Frankfurt auszusteigen. Aus Angst, direkt vom Flughafen aus wieder abgeschoben zu werden, hat Felleke sein Schengen-Visum zerrissen und weggeschmissen. Seine erste Aufnahmestelle war die Einrichtung im bayrischen Zierndorf. Zu viert in einem Zimmer, auf schmutzigen Matratzen wurden sie untergebracht. „Wie kann ein Flüchtling, der grade angekommen ist, wie kann er dieses Deutsch verstehen?“, fragte sich Felleke, als ein Polizist ununterbrochen auf ihn einredete. „Und weil du nichts verstehst, wirst du in Deutschland gleich als dumm angesehen – und du bist schwarz. Damit hast du dann auch gleich zwei Dämlichkeiten zusammen“, war sein Eindruck. Safiye, deren Familie zu den kurdischen Aleviten gehörte, durfte in der Schule kein Kurdisch lernen. Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung sind in der Türkei bis heute noch an der Tagesordnung. „Alle Gruppen, die die Regierung in Frage gestellt haben, wurden verboten“, so Safiye. Um ihren studierten Onkel, der Mitbürger über Menschenrechte aufklärte, hatte die Familie stets Angst. Dann wurde er eines Tages mitgenommen. Ein Jahr war er im Gefängnis. Das Essen, was ihm die Familie geschickt hatte, hat er nie bekommen. „Der Bürgermeister hat immer wieder zu meinem Opa gesagt: ‚Es geht dem Onkel sehr gut.‘ Zu dieser Zeit, da haben sie ihn gefoltert, die ganze Zeit gefoltert“, erinnert sich Safiye an ihre Kindheit zurück. Einerseits mit der Angst davor, dass Menschen starben, andererseits davon beeindruckt, dass sich linksorientierte Leute gegen die staatliche Repression gewehrt haben und stark und angstfrei waren, empfand sie sich in jungen Jahren zwischen zwei Welten. An der Universität für Agrarwissenschaften lernte sie eine kurdisch-alevitische Aktivistin kennen. „Jeden Tag, jede Sekunde gab`s Folter. Im Hungerstreik sind viele gestorben“, musste Safiye erfahren. „Ich wollte etwas für die Menschen machen, für die Kurden“, beschloss die Heranwachsende und engagierte sich in einer legalen kurdischen Partei. Das führte trotzdem zu einer Festnahme und ins Gefängnis. Gefesselt an der Wand hängend, mit verbundenen Augen wurden Inhaftierte dort mit „dreckigem, kaltem Wasser, Urin und Stuhlgang bespritzt.“ Stromfolter und auch Vergreifen an den „weiblichen Organen“ musste Safiye über sich ergehen lassen. „Man hat Angst, man weiß nicht, was auf einen zukommt.“ Um der Folter zu entkommen musste sie unterschreiben, zur kurdischen Partei zu gehören. Aufgrund dessen wurde sie dann zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Unmenschliche Bedingungen und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Als eine Freundin gleich nach der Entlassung wieder festgenommen wurde, hat sich Safiye unter anderem Namen um ein Visum gekümmert. „Als ich ins Flugzeug eingestiegen bin, da ist in mir etwas zerbrochen. Ich hab mich leer gefühlt.“ In der ersten Aufnahmestelle war alles streng geregelt. Wer z.B. 20:00 Uhr nicht drin war, musste draußen bleiben. Sieben Euro pro Woche wurden ausgezahlt, wer das Geld nicht rechtzeitig abholte, hatte Pech. Strafen bekam, wer sich mehr als 30 Kilometer weit weg bewegte oder von der Polizei kontrolliert wurde. Um das Heim zu verlassen, musste man seinen Ausweis abgeben. „Ich bin über den eisernen Zaun geklettert. Ich habe gesagt, hier ist es genauso, wie im Gefängnis. Und ich habe Angst vor diesem Zaun, vor diesem eisernen Zaun. Und ihr macht mir psychischen Druck“, hat Safiye zu den Verantwortlichen gesagt. „Das interessiert uns nicht“, bekam sie zur Antwort. Ali hat sich in Togo „mit viel Überzeugung für die Demokratie engagiert“. Sein Onkel war wegen kritischer Äußerungen gegen den Staat im Gefängnis gelandet und kam dort um. Im neu eingeführten Mehrparteien-System war der Wahlkampf, bei dem Ali mitwirkte, von Schüssen durch Armeeangehörige begleitet. Gegen Demonstrationen gingen Soldaten gewaltsam vor. „Es gab viele Verletzte.“ Militante Regierungsanhänger drohten ihm, weil er die Diktatur anprangerte. „Es ist so schlimm, schlaf nicht zu hause. Jemand wird vorbeikommen“, warnte ein alter Freund, der selbst in der Armee war. Nachts kamen sie dann und haben alles mitgenommen. Als sie am nächsten Tag nochmal kamen, riet ihm sein Onkel, das Land zu verlassen. „Eine Verabschiedung hat nie stattgefunden, nur am Telefon.“ Ein Senegalese hat ihm in Deutschland dann erklärt, dass man ihn in ein „Asylheim“ stecken werde, „weil man hier nicht einfach bei jemand anderem übernachten darf“. Obwohl Ali ein Ticket hatte, brachte ihn die erste Busfahrt in Deutschland gleich unfreiwillig in eine Polizeizelle. Fußabdrücke, Handabdrücke, Fotos – das volle Programm. „Ich war völlig hoffnungslos, weil ich das nicht erwartet hatte.“ Die ersten Erfahrungen mit dem deutschen Asylgesetz und den Behörden hinterließen bei allen dreien ganz ähnliche Eindrücke. Intensive Fragen zur Situation, die die Geflüchteten zum Verlassen ihrer Heimat bewegt hatten, sind im „Asylinterview“, einer Art Verhör durch die Ausländerbehörde, angesagt. Wer keinen Parteiausweis der Opposition zur Hand hat, die Bomben im Krieg oder die Räume im Gefängnis nicht detailgenau beschreiben kann, hat gleich schlechte Karten, das man ihm seine Geschichte glaubt. Verfolgung, Not und Folter treffen auf bürokratische Gründlichkeit, Einschüchterung und Schikane. „Sie wollen die Flüchtlinge bewusst nerven, damit du dein Ziel verfehlst“, konstatiert Felleke. „Was suchen Sie hier? Sie werden sowieso nicht erreichen was Sie hier wollen“, raunte eine unfreundliche Beamtin Safiye an, die für ihren Asylantrag zuständig war. In Holland tauchten Fellekes Geburtsdatum und Name in keiner der Visumlisten auf, meinte das Gericht, „das bedeutet dann, dass mein Name nicht stimmt, dass ich gelogen hätte. Somit wurde ich abgelehnt.“ Ali bekam einen Monat Zeit, nötige Dokumente beizubringen. „Und die Sachen sind zwei Tage nach dem Stichtag angekommen. Deshalb haben sie meinen Antrag abgelehnt“, so Ali. Die Bundesbehörde schrieb Safiye in einem Brief, „dass mein Asylantrag abgelehnt wurde. Sie haben gesagt, die Bomben sahen nicht schwarz aus. Und die Bomben sahen nicht wie eine Faust aus.“ Die Übersetzerin bezeichnete das ‚türkische Bad‘ aus ihrer Erzählung vom Gefängnis als ‚türkische Sauna‘, „im Gefängnis gibt es keine Sauna, wurde argumentiert. Der Antrag wurde auch abgelehnt, weil ich in der Türkei leben könnte. Die Türkei habe sich verändert mit der Meinungsfreiheit“, versuchte ihr die Bundesbehörde klar zu machen. Vorgelegte Informationen über Menschenrechtsverletzungen werden dabei häufig verdrängt und ignoriert. Videoaufzeichnungen von Tötungen oder Untersuchungen der Vereinten Nationen, „danach tötet die Regierung von Togo nach wie vor Menschen. Die Leichen werden zusammengebunden vor der Küste von Benin gefunden. Aber in der Ablehnung stand, dass die Gründe wegen denen wir Asyl beantragten, nicht mehr existierten“, setzt Ali aus seiner Gerichtsverhandlung zum Asylantrag nach. In Fellekes Fall hat die deutsche Ausländerbehörde dem äthiopischen Regime geholfen, die fehlenden Daten über ihn zu bekommen. „Die äthiopische Regierung hat geschrieben, wen sie sucht. Über viele Oppositionelle haben Angaben gefehlt. Dafür haben sie dann extra Formulare geschickt, die ausgefüllt nach Äthiopien zurückgeschickt werden sollten“, so Felleke. Die Folge war eine Anklageerhebung in Äthiopien. Er wurde ins äthiopische Konsulat in Deutschland eingeladen. „Sie hatten jetzt komischerweise eine Kopie von meinem Visum“, das für das Asylverfahren nicht existent und mittlerweile abgelaufen war. „Für mein Asylverfahren war ich nicht Felleke und für meine Abschiebung war ich es doch?! Wieso ist mein Visum heute echt?“, empörte sich der mangels Visum gerichtlich abgelehnte Asylbewerber. Eine Antwort hat er von dem Beamten nicht erhalten. Die Ungewissheit, ob man hier bleiben kann oder nicht, bringt vor allem psychische Belastungen mit sich. „Die Flüchtlinge hatten nicht erwartet, dass das Asylheim wie ein Gefängnis ist“, wirft Ali ein. „Um mich herum da sprechen sie alle über Integration, Integration. Ich hab keine Hoffnung mehr, dass ich irgendwie mein Leben selbst gestalten kann“, meint Safiye mit Blick auf die jahrelange aussichtslose Situation. Während Safiyes Asylersuchen nachträglich noch positiv beschieden wurde und sie mit ihrem Freund zwei Kinder bekam, kann Felleke nur mit erbittertem Widerstand zweimal seine Abschiebung per Flugzeug in letzter Minute verhindern. Erst nachdem der bayrische Flüchtlingsrat einen Eilantrag für ihn gestellt hatte, wurde der dritte Abschiebungsversuch abgesagt und Felleke kam raus aus monatelanger Abschiebehaft. Im Juli 2009 gab es einen offiziellen Bescheid: „Abschiebeverbot – das bedeutet keine Anerkennung von Asyl, auch nicht Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es ist eine drittklassige Art von Bleiberecht. Ob ich also weiter in Deutschland bleiben werde, das wird die politische Situation in Äthiopien entscheiden.“ Die Möglichkeit, sich zu integrieren, ist damit noch lange nicht verbunden. Ali plagen oft Gedanken an psychische Probleme und die Hoffnung seine Kinder wieder sehen zu können. Als Sprecher der Flüchtlingsvertretung des Heimes streitet er für dezentrale Unterbringung und gegen die aktuelle Situation, in der sie leben müssen. Auch Felleke engagierte sich später dafür: Erst „als uns eine Kirchengemeinde unterstützte, da hatten wir das erste Mal das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das hat uns Mut gemacht.“ Felleke hat 2009 einen Menschenrechtspreis erhalten. An der deutschen Abschiebepraxis lässt sich für ihn nichts beschönigen, dafür hat er zu viel erlebt: „Deutschland und Äthiopien haben ein Rücknahme-Abkommen unterzeichnet. … Und die Ausländerbehörde hatte sofort meinen Namen, Fotos und Dokumente an den äthiopischen Geheimdienst geschickt. … Das alles hat mein Vertrauen so stark erschüttert, dass ich nie wieder an Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte glauben kann. Ich werd mich nie sicher fühlen in diesem Land, auch wenn ich eingebürgert werde. … Was in meinem Herz gebrochen ist, das kann man nicht wieder gut machen.“ Die Erfahrungen prägen alle drei. Das politische Engagement und der Wille anderen Menschen zu helfen gehören für sie zum Leben dazu. Genau das ist Vielen oft ein Dorn im Auge. |
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