Diskussionen, Vernetzung, Mitgestaltung…[ergänzt] 15. Mai 2012: LAP-Konferenz „Mitgestalten für einen weltoffenen Landkreis“ legt Fundament für nachhaltige Strukturen Der Saal im Merseburger Ständehaus war bis auf die letzten Plätze gefüllt. Etwa hundert Personen waren der Einladung zur LAP-Konferenz „Aktiv mitgestalten für einen weltoffenen Landkreis“ gefolgt. Neben Grußworten und Informationen über das bisher Erreichte standen Austausch und Vernetzung im Zentrum der Veranstaltung.Stellvertretend für Landrat Frank Bannert eröffnete Hartmut Handschak, Dezernent für Kreisentwicklung, mit dem ersten Grußwort die Veranstaltung. Er begann mit einem Zitat Schopenhauers: „Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.“ Das Zitat bringt aus seiner Sicht „genau das zum Ausdruck, was uns gemeinsam dazu bewegt hat, diese Veranstaltung, diese Konferenz hier in Merseburg durchzuführen. Nämlich eben nicht die Augen zu verschließen gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit im täglichen Leben – in unserer Gesellschaft. Widerspruch zu organisieren, auf einer breiten gesellschaftlichen Basis gegen neonazistische Erscheinungen und Tendenzen. Toleranz fördern gegenüber Menschen, die anders denken, anders aussehen oder andere religiöse Überzeugungen haben“, so Handschak. „Schon über den Begriff ‚anders‘ lohnt es sich einmal nachzudenken. Wer ist eigentlich anders?“, fragte der Dezernent in das Publikum. „Anders ist immer das, was uns fremd erscheint, was wir nicht kennen. Und genau da setzt dieser Lokale Aktionsplan an, zu dem wir uns heute zusammengefunden haben“, leitete er zum Kern der Veranstaltung über. Die „ständige Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen, Gewalt und Gedankentum“ sei angebracht. „Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass uns rechte und diskriminierende Ideologien immer wieder auf irgendeine Weise begegnen.“ „Achtmal wurde diese Gedenkstätte bereits beschädigt“, so Handschak in Bezug auf die wenige hundert Meter entfernte Gedenkstele für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma aus Merseburg. Daran sei bitter zu erkennen, wie dringend notwendig Projekte zur Demokratie- und Toleranzentwicklung auf im Saalekreis seien. „Jeder dieser Anschläge ist einer zu viel. Oder denken Sie an die jüngsten Ereignisse in Mücheln. Leider hat die betroffene Familie nach meinem Kenntnisstand Mücheln verlassen bzw. ihr Geschäft aufgegeben. Das finde ich schade und es stimmt mich nachdenklich. Die Zeit, als Menschen Deutschland verlassen haben, weil sie Angst um ihr Leben hatten, ist noch nicht allzu lange her“, fuhr der Dezernent mit seinen Ausführungen fort und schlug zugleich historischen Bogen zu den geistigen Urvätern der heutigen Neonazis. Der Vertreter des Landkreises betonte: „Wir wollen Sie in Ihrer Arbeit in den Projekten aktiv begleiten, Sie fördern und unterstützen, aber auch eigene präventive Projekte gegen rechte Gewalt initiieren.“ Über das Jugendamt des Saalekreises unterstützt der Landkreis seit Jahren Projekte und Veranstaltungen im Rahmen der Jugendarbeit. „Immerhin 2011 mit 142.000 Euro“, so Handschack. „Ziel der Projekte ist es, Jugendliche zum Nachdenk zu animieren, Migranten zu integrieren sowie Zeichen gegen Rechtsextremismus und Gewalt zu setzen.“ 2.990 Bürger mit Migrationshintergrund leben laut Hartmut Handschak derzeit im Saalekreis, 31 wurden 2011 eingebürgert. „Jeder Einzelne ist eine Bereicherung unseres gesellschaftlichen Lebens“, macht er unmissverständlich deutlich. Im Landkreis haben sich „bedeutende internationale Unternehmen angesiedelt …, sie sichern mit ihren Arbeitsplätzen unseren Wohlstand, hob Handschak auch nochmal auf die Aspekte der ‚weichen Standortfaktoren‘ ab. „Sorgen wir also alle gemeinsam dafür, dass der Saalekreis ein Beispiel für Weltoffenheit, Toleranz und Heimat für alle ist. Im Lokalen Aktionsplan tragen viele Akteure dazu bei, dass wir diesem Ziel ein Stück näher kommen. Dafür wünsche ich uns allen viel Erfolg“, schloss er seine nachdenklich stimmenden, aber auch ermutigenden Begrüßungsworte ab. Hildegard Rode, beim Ministerium für Arbeit und Soziales zuständig für die landesweite Koordination der Engagement- und Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus, stellte in ihrer anschließenden Rede heraus, „dass rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen und Übergriffe in Sachsen-Anhalt, aber auch bundesweit, eine große Herausforderung sind. Gerade die rechtsextreme und rassistisch motivierte Mordserie des ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ hat deutlich gezeigt, wie weit rechtsextreme Gruppen gehen, um ihre menschenfeindliche Ideologie durchzusetzen.“ Eine neue Überprüfung hinsichtlich rechtsextrem motivierter Tötungsdelikte durch Innen- und Justizministerium hatte jüngst zur Folge, dass zu den bisherigen vier Todesfällen drei weitere „offiziell eingeordnet worden als Tötungsdelikte mit rechtsextremem Hintergrund. Sodass insgesamt in Sachsen-Anhalt seit 1990 sieben Menschen aufgrund rechtsextremer Motive zu Tode gekommen sind.“ Gerade auch in Sachsen-Anhalt ist das Niveau rechter Straftaten – und insbesondere der Gewalttaten – hoch, machte Rode klar. Der Beinahe-Einzug der NPD ins Landesparlament ist für Rode ein weiteres Indiz für rechtes Einstellungspotential im Land. Bei den erreichten 4,6 Prozent fehlten der NPD lediglich etwa 5.000 Stimmen für den Einzug. Das wenige Tage zuvor gestartete „Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit“ war auch eine Reaktion darauf. Dieses wurde gemeinsam vom Land und zivilgesellschaftlichen Akteuren erarbeitet. „Die Zielsetzung dieses Programmes ist insbesondere die Bündelung aller Maßnahmen, Projekte und Initiativen, die bisher schon auf Landesebene in diesem Bereich der Prävention und zu Rechtsextremismus durchgeführt werden“, so Rode. Verfolgt wird die Bündelung, Koordinierung, Identifizierung weißer Flecken sowie Entwicklung und Platzierung neuer Konzepte und Projekte im Land. Im Fokus steht die Stärkung der Zivilgesellschaft und das Ansinnen, „demokratisches Bewusstsein stärker in der Bevölkerung zu verankern und mehr gelebte demokratische Strukturen zu schaffen.“ Gerade die Kommunen sind aus ihrer Sicht ein bedeutender Ort, „wo die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus stattfindet. Sie müssen sich hier auseinandersetzen … zum Teil mit Übergriffen oder mit Schmierereien an Schulen, der Zerstörung von Friedhöfen oder erwähnten Gedenkorten und zum Teil das Einsickern von Rechtsextremen in Jugendeinrichtungen. Alles das findet vor Ort statt und erfordert auch Engagement und eine Auseinandersetzung damit.“ Mit Unterstützung des Bundesprogrammes „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ und des Vorgängermodell werden seit 2007 drei Programmsäulen auch in Sachsen-Anhalt finanziert: das Beratungsnetzwerk gegen Rechts, Modellprojekte im Jugendbereich und die Lokalen Aktionspläne, zählte Hildegard Rode dazu auf. „Die Lokalen Aktionspläne sind ein ganz wichtiges Instrument, um vor Ort die unterschiedlichen Aktivitäten zu bündeln gegen Rechtsextremismus. Sie bieten die Möglichkeit, dass alle Aktiven, sowohl die Vereine und Verbände, aus dem Sportbereich, Kirche, aber auch Kommunalverwaltung und –politik in den Begleitausschüssen sich absprechen können, … mit welcher Strategie man direkt angepasst vor Ort mit rechtsextremen Tendenzen umgehen kann.“ Im Land, so Rode, gibt es mittlerweile nur noch einen Landkreis, in dem kein LAP vorhanden ist. Dabei handele es sich um „eine ganz wichtige Struktur, die sich hier herausbildet – auch mit den Koordinierungsstellen“. Diese Strukturen haben „sozusagen eine Zuständigkeit … für Demokratieförderung oder auch die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus.“ Aus den bisherigen Ergebnisse der Lokalen Aktionsplänen konnte sie berichten: „Es hat sich schon herauskristallisiert, dass Kommunen langfristige Strategien entwickelt haben, wie man jetzt mit rechtsextremen Tendenzen umgehen kann.“ In der Zukunftsperspektive, „muss man schon davon ausgehen, dass rechtsextreme Tendenzen insgesamt und auch in Sachsen-Anhalt bestehen werden und auch versuchen werden weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.“ Die Erfahrungen zeigen, dass dort, wo kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenwirken und dem Rechtsextremismus eine Barriere setzen, ein Zurückdrängen gelingt. „Ein offensiver Umgang damit ist auf jeden Fall langfristig wirksamer“, ermutigte Hildegard Rode die Anwesenden abschließend. Als Koordinator des Förderinstruments vor Ort zeigte sich Mario Bialek „zufrieden und durchaus begeistert, dass Sie so viel Interesse zeigen und sich hier einbringen. … In Sachsen-Anhalt hat sich einiges bereits getan. Viele Projekte und Initiativen haben sich auf den Weg gemacht“, knüpfte Bialek an die Ausführungen seiner Vorrednerin an. „Die Statistiken zeigen uns immer wieder, dieses Themengebiet braucht noch eine ganze Menge mehr an Aktiven, an Interessierten, die sich dieser Thematik widmen und hierzu sensibilisieren, aufklären und ein gewisses Know How entwickeln, wie gehen wir mit Rechtsextremismus und demokratiefeindlichen Einstellungen um“, so Bialek. „Rechtsextremismus ist kein reines Jugendphänomen und ist keine Randerscheinung“, hebt er auf den genartionsübergreifenden Ansatz des Programms ab. Auch gehe es „nicht nur um Rechtsextremismus als solches“, versucht Bialek die Breite des Problemfeldes anzudeuten: „Diskriminierungen und Rassismus gibt es genauso in der Mitte der Gesellschaft.“ Das mache notwendig, sich an vielen Stellen in der heutigen Gesellschaft auf den Weg zu machen, „hier noch mehr Leute zu gewinnen und von einem demokratischen Grundverständnis im Zusammenleben zu überzeugen.“ Präsentation: Bilanz und Ausblick - ein Jahr Lokaler Aktionsplan Saalekreis Als wichtig betonte Bialek den Ansatz, dass der Lokale Aktionsplan als „eine Handlungsstrategie für die gesamte Region“ begriffen werden solle: „Hier kann man sich mit einbringen mit seinen eigenen Ideen, mit seinen eigenen Bedarfen oder auch Konzepten für Einzelprojekte und gemeinsam ein Strategie für den gesamten Landkreis stricken.“ Der Grundstein dafür waren die Regionalkonferenzen im Juli 2011. Einen deutlichen Schwerpunkt der regionalen Verortung der bisherigen Projekte bildet die Stadt Merseburg. Als Defizit markierte der Koordinator des LAP Saalekreis, dass bisher noch relativ wenige Projekte Aktivitäten in den ländlicher Regionen des Landekreises entfaltet haben. Die Herausforderung ist, hier zukünftig mehr BürgerInnen anzusprechen. Bei den Förderschwerpunkten überwiegen deutlich Einzelprojekte, die sich langfristige Demokratie- und Toleranzentwicklung auf die Fahnen geschrieben haben. „Das ist durchaus gut so, denn … Demokratieentwicklung ist die beste Rechtsextremismusprävention“, wertete Bialek diesen Sachstand. Als Defizit fällt dem Koordinator hierbei auf, dass Projekte, die sich konkreter mit dem aktuellen Rechtsextremismus auseinandersetzen durchaus noch unterrepräsentiert sind. Hier könnte noch nachgebessert werden, vor allem, da dieser Ansatz klar in den LAP-Zielen formuliert worden war. Als langfristigen Herausforderungen resümierte er: Nichts wäre schlimmer, als wenn nach dem LAP-Zeitraum nichts von den geförderten Strukturen übrigbleibt. Strukturelle und finanzielle Nachhaltigkeit sind dabei die Schlüsselaspekte. Sowohl eine stetige lokale Vernetzung als auch die eigenständige Fördermittelakquise für Konzepte, die sich im Rahmen einer LAP-Finanzierung bewährt haben, müsse angestrebt werden. Dabei stellt Bialek nochmal klar, dass das Modell LAP den Richtlinien zufolge eher eine Anschubfinanzierung für innovative Ideen darstellt. Bei positiver Resonanz und Erfolg der Konzepte sollte die Suche nach alternativer Regelfinanzierung anstehen.
Veranstaltungsdokumentation durch den Offenen Kanal Merseburg-Querfurt (1h:03min) Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden knapp zwei Stunden an insgesamt sieben moderierten Thementische die unterschiedlichsten Fragestellungen, u.a. zum LAP, zu geeigneten Konzepten zur Demokratieentwicklung, Rechtsextremismusprävention oder auch Fördermittelakquise. Voneinander und miteinander lernen, Ideen umzusetzen stand bei den Gesprächsrunden im Mittelpunkt. Mitbestimmung sollte an diesem Tag auch ganz praktischer Bestandteil der Veranstaltung sein. Die Teilnehmenden konnten ihr Votum abgeben, mit welchem Plakatmotiv sich der LAP Saalekreis zukünftig präsentieren wird. Motiv Nr. 4 (von 4) hat dabei mit 44 Prozent der abgegebenen Stimmen das Rennen gemacht und ging nach der Konferenz in Druck. Ein erstes Fazit vieler AkteurInnen lautete: Gute und wichtige Veranstaltung! Mehr Zeit für Diskussionen ist nötig! Lokale Vernetzung zu Demokratie- und Toleranzentwicklung muss dringend gefördert werden!
Koordinierungsstelle LAP Saalekreis || Juli 2012 |
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| LOKALER AKTIONSPLAN SAALEKREIS – Für Demokratie und Toleranz | Gestaltung: www.designroyal.de