„Sie waren Menschen wie wir, sie gehörten hier in diese Stadt“Stolpersteinverlegung im Saalekreis zum Gedenken an ermordete Nachbarn Fünf weitere Stolpersteine wurden am 07. Mai 2013 im Saalekreis verlegt. In Löbejün, Kaltenmark, Krumpa und Mücheln erinnern fünf weitere Gedenktafeln im Boden an Nachbarn, die an diesen Orten ihren letzten selbst gewählten Wohnort hatten und von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden. Zusammen mit der Geschichtswerkstatt Merseburg-Saalekreis e.V. gedachten viele Bürger/innen der ermordeten Mitmenschen und erinnerten an deren Schicksal. Die Verlegung wurde gemeinsam mit Schüler/innen- und Jugendgruppen geplant und umgesetzt. Die Verlegeaktion begann am Markt in Löbejün, wo knapp 60 Bürger/innen dem Geschwisterpaar Frieda Luise und Walther Bernstein gedachten. „Wir wissen, dass auch gegenwärtig rechtsextreme Strukturen in unserem Land Nährboden finden und unsere Aktivitäten nicht gutheißen“, brachte eine Schülerin des Wettiner Burggymnasiums in ihrer Rede zum Ausdruck. Denen, die das Grauen unter der nationalsozialistischen Vergangenheit verleugnen und Rassenhass und Antisemitismus schüren, gilt es mit Demokratiebildung zu begegnen, ließ die Schülerin ihre Motivation erkennen. Diese Erinnerungssteine bieten die Chance, kurz inne zu halten, zu gedenken und Mitmenschen gegen das Vergessen aufzuklären. Frieda Luise Bernstein, am 24. Mai 1904 in Löbejün geboren, war nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als sogenannte Volljüdin registriert. Sie wurde am 11. November 1942 in Leipzig wegen „Vergehen gegen die Kriegswirtschaft“ verhaftet und verurteilt. Bereits am 19. Dezember `42 landete sie im Vernichtungslager in Auschwitz. Walter Bernstein, geboren am 05. September 1901, war als Schuhmacher und kaufmännischer Angestellter viel unterwegs. Er landete ebenfalls in Auschwitz und wurde am 03. Januar 1943 dort ermordet. Das Leben von Frieda Luise wurde am 14. Januar 1943 dort ausgelöscht. „Sie waren Menschen wie wir, sie gehörten hier in diese Stadt“, auch wenn Nazis und Antisemiten damals wie heute das nicht wahr haben wollen, machten die Schüler/innen deutlich. Die Aktion wurde von der Kulturscheune Löbejün und auch von der Bürgermeisterin Antje Klecar unterstützt. Klecar betonte, dass sie die erste „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ im Saalekreis (Burggymnasium Wettin) gern bei deren Anliegen unterstütze. Mit Verweis auf bestehende Vorbehalte in der Gesellschaft, die Nazi-Terrorgruppe NSU und auch die NPD sei Aufklärung dringend nötig, so Klecar. Ortswechsel: Im Krosigker Ortsteil Kaltenmark warteten die nächsten Anwohner/innen auf die Schüler/innen-Gruppe, die Geschichtswerkstatt und den Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine verlegt. Mehr als 40.000 solcher Gedenksteine hat Demnig bereits in über 750 Städten und Gemeinden verlegt. Im Saalekreis ist es die vierte Verlegung. Zwölf solcher Stolpersteine erinnern bereits in Leuna, Merseburg, Bad Dürrenberg und Querfurt an Opfer der Nationalsozialisten. Angesichts der großen Opferzahlen konnten noch längst nicht alle in das öffentliche Gedenken zurückgeholt werden. Das, so sind sich die 9.-Klässler/innen sicher, ist „wohl noch eine Aufgabe der folgenden Generationen – auch an unserem Gymnasium.“ In Kaltenmark unterstützen etwa 80 Anwesende die Aktion, darunter Krosigks Ortsteilbürgermeister Joachim Küster. „Es schafft Erinnerungsorte, an denen man im tatsächlichen und im übertragenen Sinnen stolpern kann“, sagte Landtagsabgeordneter Sebastian Striegel (GRÜNE) in Kaltenmark. Er meint, die Verbrechen, die die Nationalsozialisten angerichtet haben, können jederzeit wieder passieren, daher sei es insbesondere in der heutigen Gesellschaft wichtig, Diskriminierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Dabei verwies Striegel zudem auf die drei Toten, die seit 1990 im Saalekreis aus rechten Motiven heraus umgebracht wurden. Nicht zu vergessen, „wohin Ausgrenzung und Hass führen können, wenn humanistische und demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt sind“, ist für die Schüler/innen Antrieb, diese Aktion zu unterstützen: „Es liegt an uns und an Ihnen, dass mit diesem Stein die Erinnerung in Kaltenmark einen neuen Platz hat.“ In der Halleschen Straße wohnte der am 27. Januar 1885 in Raguva (Litauen) geborene David Nahrun. Er heiratet im Januar 1930 Elfriede Röhling und adoptiert ihre Tochter Anna Ida. Elfriede Röhling verstarb bereits 1937, mit 32 Jahren, im Krankenhaus in Hohenmölsen. Nach den NS-Rassegesetzten galt die Ehe zwischen ihm als Juden und seiner nichtjüdischen Frau als sogenannte „Rassenschande“. Der Bergarbeiter David Nahrun wurde deswegen im Oktober 1939 zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Aus der Haft sollte er nicht nach Kaltenmark zurückkehren. Er landete bei einem sogenannten „jüdischen Umschulungslager“ im Forsteinsatz bei Frankfurt / Oder, wo er 1942 verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurde. Im Juli `42 wurde David Nahrun dann zunächst ins KZ Dachau verschleppt. Bereits im Oktober desselben Jahres führt sein Leidensweg schlussendlich ins Vernichtungslager Auschwitz. Da er dort scheinbar nie registriert worden ist, wird davon ausgegangen, dass er, wie so viele andere, gleich nach der Ankunft ermordet wurde. Im Ortsteil Krumpa haben sich nah am Geiseltalsee etwa 35 Personen zusammengefunden, die an Pinkus Sochaczewski erinnern wollen. Dem anwesenden Bürgermeister der Stadt Braunsbedra, Steffen Schmitz, war sein Dank „für das Engagement der jungen Leute“ sichtlich anzumerken. Die jungen Leute die er meinte, gehören zum Alternativen Jugendzentrum Krumpa e.V. und haben die Aktion zusammen mit der Geschichtswerkstatt vorbereitet. Schmitz weiß zu schätzen, als Kommune mit dem Stolperstein nun „zu dieser Erinnerungskultur zu gehören“. So nah vor der Haustür und am Addinol-Gelände, wo viele Zwangsarbeiter/innen eingesetzt waren, sei die Kenntnis um konkrete Schicksale von NS-Opfern umso bedrückender, so Schmitz. „Es darf einfach nie wieder etwas in dieser Richtung passieren“, betonte der Bürgermeister. Pinkus Sochaczewski wohnte zuletzt in der Merseburger Straße in Krumpa, die später den Baggern zum Opfer fiel und im heutigen Geiseltalsee liegt. Der Bergmann wurde 1885 im polnischen Kalisch geboren und arbeitete im Geiseltal in der Grube Cecilie. Verheiratet mit Rosa Sochaczewski hatten sie drei Kinder – Nuchem, Bluma und Judith. Als Jude sollte er der NS-Ideologie zufolge nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören und wurde nach den Nürnberger Rassegesetzen im Oktober 1939 mit Begründung sogenannter „Schutzhaft“ ins KZ Buchenwald (Weimar) deportiert. „Schutzhaft“ galt als beschönigende Begründung gegen alle missliebigen Personen. Auch für Pinkus Sochaczewski bedeutete diese Begründung den Tod. Nach drei Jahren in Buchenwald wurde er im Oktober 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt, wo er kurz darauf, am 25. November `42, ermordet wurde. In Auschwitz haben die Nationalsozialisten mindestens 1,5 Millionen Juden, Sinti, Roma, Kriegsgefangene und andere Menschen zwischen 1940 und 1945 umgebracht. An der vierten Station an diesem Tag, am Markt in Mücheln, nahmen über 80 Personen Anteil am Gedenken an Rosa Silberstein (geb. Schwarz). Schüler/innen des Geiseltalgymnasiums begleiten die Veranstaltung musikalisch. Das Anliegen von Müchelns stellvertretendem Bürgermeister Wiegner war, hervor zu stellen, dass Deutschland nach 1945 bereits viel für Aussöhnung getan habe. Mit Verweis auf Diskriminierung und Ausgrenzung, die auch heute international präsent seien, fiel sein Plädoyer für Frieden und Versöhnung eher oberflächlich und allgemein aus und ließ den kritischen Blick vor die eigene Haustür vermissen. Die am 11. Januar 1889 in Mücheln geborene Rosa war die Tochter von Charlotte und Heimann Schwarz. Die Ehe mit Felix Silberstein blieb Archivdokumenten zufolge kinderlos. Als sogenannte Volljuden war die Familie spätestens seit Einführung der Nürnberger Rassegesetze 1935 gesellschaftlich und beruflich ausgegrenzt und fiel dem Rassenwahn Nazideutschlands zum Opfer. Rosa Silberstein und ihr Mann tauchen auf Deportationsliste vom 29. November 1942 auf. Ziel des Transports war das Vernichtungslager Auschwitz. Von dort kehrte auch sie nie zurück. Koordinierungsstelle LAP Saalekreis
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